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    9.1

Biographie des Ladenbesitzers

 

Wie kann es sein, dass sich jemand über 80 Jahre mit Kindergedichten beschäftigt? "Wulle, wulle Gänschen" und "Dornröschen war ein schönes Kind" waren die ersten Gedichte, die ich mit dem Liebreiz eines Vierjährigen gesungen habe, wenn ich bei großen Familienfeiern noch einmal aufgeweckt wurde, um die vielen Erwachsenen zu unterhalten. "Kinder lieben Gedichte" – das gehört zu ihrer DNA, würde man heute sagen, und die Deutschlehrer treiben es ihnen angeblich aus. Dieses Urteil wurde nie bewiesen und scheint deshalb unausrottbar. Meine eigenen Erfahrungen sind andere. Die Erwachsenen liebten Kindergedichte aus Kindermund. Das Interesse für Musik und Literatur lag nicht in der Familie, sondern wurde erst im Gymnasium geweckt, von der Musiklehrerin und der Lehrerin für Französisch, den einzigen Frauen im Kollegium. Die Musiklehrerin ermöglichte das Theaterspielen, das dann später auch während des Studiums an der Pädagogischen Akademie in Kaiserslautern einen großen Raum einnahm. Dort hat nicht der Deutschdidaktiker, ein ehemaliger Gymnasiallehrer den Weg zur Kinder- und Jugendliteratur gebahnt, sondern die einzige Frau im Kollegium, die Professorin für Pädagogik Johanna Jung. Sie lud den Ludwigshafener Volksschullehrer Walter von Schack zu einem Vortrag ins Seminar – und es zündete! (Vgl. Dahrendorf/ von Schack: Das Buch in der Schule 1969). Ab 1959 haben meine Frau Ursula und ich in einer zweiklassigen (nicht zweitklassigen!) Dorfschule das Gelernte in die Praxis umgesetzt. Während ein Jahrgang im "Präsenzunterricht" war, mussten die drei übrigen Jahrgänge sinnvoll mit Stillarbeit beschäftigt werden. Das verlangte eine ausgeklügelte Vorbereitung. Wir bauten eine kleine Bibliothek auf, räumten den Kindern während des Unterrichts Lesezeit ein, damit sie Lust aufs Weiterlesen bekamen. Wir spielten mit ihnen Theater. Nicht nur das Morgengebet war in einer Konfessionsschule guter Brauch, sondern der Unterricht begann mit einem Lied. "Und jeden Morgen ein Gedicht" (Gutzschhahn, Mikota, Wanning 2019) – auch ein Lied ist ein Gedicht. Neben dem Schuldienst studierte ich an der Universität Heidelberg (Germanistik, Geschichte, Pädagogik) und promovierte 1966 bei dem Mediävisten Peter Wapnewski. Nach 10 Jahren in der Schule und einem Jahr als Assistent an der Pädagogische Hochschule Ludwigsburg kehrte ich an die PH Kaiserslautern zurück und erhielt 1972 einen Ruf auf die Professur an der PH Freiburg, der durch Bleibeverhandlungen abgewendet wurde. Nach der Umstrukturierung der Lehrerbildung in Rheinland-Pfalz lehrte ich bis zum Jahr 2000 "Deutsche Sprache und Literatur und ihre Didaktik" an der Erziehungswissenschaftlichen Hochschule, später Universität Koblenz-Landau, Abt. Landau.

In Forschung und Lehre, zu denen in erheblichem Umfang die Schulpraktika gehörten, konnte ich auf Erfahrungen in der Praxis zurückgreifen. Das Themenspektrum war breit; während manche Hochschullehrer sich auf ein enges Spezialgebiet konzentrieren, reichten meine Interessen von der Kinder- und Jugendliteratur zur interkulturellen Literaturdidaktik, von der Mundartforschung zum politischen Lied, vom (Schüler)theater zum Hörspiel und den Hörmedien für Kinder. An der Gründung der LAG Darstellendes Spiel in der Schule in Rheinland-Pfalz war ich beteiligt, in der Jury für das jährliche Schülertheatertreffen in Berlin und als Mitglied einer Delegation nach Israel. Von 1980 bis 1998 war ich Vorsitzender des Friedrich Bödecker-Kreises Rheinland-Pfalz, der Autorenlesungen in Schulen organisiert. Von 2006 bis 2011 hatte ich den Vorsitz des Freundeskreises des Instituts für Jugendbuchforschung in Frankfurt inne. In den 80er Jahren koordinierte ich mit anderen die Friedensdekaden in Landau; aus "Frieden mit den Völkern der Sowjetunion" wurde der Kontakt hergestellt zu dem in Russland sehr bekannten Anatoli Alexin, der uns 1987 besuchte und zum Gegenbesuch nach Moskau und Taschkent einlud.

In vielfältiger Weise versuchte ich, die Hochschule nach außen zu öffnen, z.B. mit Gästen in den Seminaren. Sie brachten neue interessante Aspekte in die Seminararbeit. Nach dem Mainzer Modell lasen Autoren in Schulen und im Seminar (Erich Fried, Heinar Kipphardt, Herbert Heckmann, Josef Guggenmos, Gudrun Pausewang, die israelische Autorin Dorit Orgad u.a.), Peter Härtling und Ludwig Harig leiteten Schreibseminare. Der Südwestfunk stellte in den Seminaren neu produzierte Hörspiele vor, die Dramenlektüre wurde ergänzt durch die vielen Theaterseminare und -Exkursionen mit Probenbesuchen?

Es gab weitere interessante Themenbereiche: Literatur der "Inneren Emigration", der "Neuen Sachlichkeit", Frauenliteratur, russische Literatur. Die Motivation für diesen häufigen Themenwechsel war, sich als Lehrender in die Situation des Lernenden zu versetzen, beispielsweise auch für die Schreibseminare: Studierende sollten die Rolle von Schüler*innen einnehmen, von denen das Aufsatzschreiben verlangt wird. Fast alle genannten Themen fanden ihren Niederschlag inVeröffentlichungen, die von Beginn an gemeinsam mit meiner Frau konzipiert und zum großen Teil auch in Doppelautorschaft erschienen sind.

Meine Beschäftigung mit der Kinderlyrik begann 1974 mit Elemente und Formen der Lyrik. Ein Curriculum für die Primarstufe. Die Texte erschienen in zwei, von Ursula Kliewer illustrierten Heften für Schüler Ein Gedicht – was ist das? (1972 und 1974).Die Wundertüte. Alte und neue Gedichte für Kinder (Stuttgart: Reclam 1989) ist, ungewöhnlich für eine Anthologie, chronologisch nach den Geburtsjahren der AutorInnen gegliedert. Die 1. Auflage wurde 2005 zusammen mit Ursula Kliewer überarbeitet, u.a. durch die Aufnahme einer noch größeren Zahl von Texten aus der DDR. Sowohl die Höhe (Ende 2020 waren es 43252 Exemplare) als auch die anhaltende Dauer des Absatzes sprechen für den Erfolg von Konzept und Auswahl. Auch der didaktische Entwurf wurde 2002 mit Ursula Kliewer weitergeführt in Gedichte im Unterricht. Detaillierte Textinterpretationen, didaktische und methodische Überlegungen bieten Hilfen für die unterrichtspraktische Arbeit. Der Textband Über den halben Himmel. Gedichte für die Grundschule (wieder illustriert von Ursula Kliewer) folgt der Gliederung des Kommentarbandes.

1999 wurden 16 Aufsätze zur Kinderlyrik unter dem Titel Was denkt die Maus? gesammelt. Ein halbes Dutzend weitere folgten. Schließlich gehen meine didaktischen Vorstellungen in das Themenheft "Gedichte sprechen, hören, spielen" ein (Deutsch differenziert. Fachzeitschrift für die Grundschule (2007 Heft 1).Ein spannendes Thema harrt weiterer gemeinsamer Arbeit: 2008 erschien in der Karin Richter Festschrift der Aufsatz Doppelinterpretationen? Bilder zu "Bildern" in der Kinder- und Jugendlyrik. (In: Kinder – Lesen – Literatur, hrsg. von Monika Plath/ Gerd Mannhaupt.- Baltmannsweiler: Schneider Hohengehren, S.33 – 57).

Ehrungen:

1985 Preis der Emichsburg für die Arbeit über Pfälzische Mundartliteratur

1990 "LUCHS 40" (ZEIT und Radio Bremen) für Die Wundertüte Uwe-Michael Gutzschhahn in: DIE ZEIT 5.1.1990

1995 Das 1. Jahrbuch der Kinder- und Jugendliteraturforschung wurde Maria Lypp und mir zum 60. Geburtstag gewidmet

2000 Aus "Wundertüte" und "Zauberkasten". Über die Kunst des Umgangs mit Kinder- und Jugendliteratur. Festschrift zum 65. Geburtstag von Heinz-Jürgen Kliewer. Hrsg. Von Henner Barthel u.a. – Frankfurt: Lang 2000 (= Kinder- und Jugendkultur, -literatur und -medien 9) 590 Seiten

2000 Laudatio zur Emeritierung Hans Heino Ewers

 

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